Kinder in Armut brauchen eine andere Familienpolitik. – Sozialrichter Dr. Jürgen Borchert aus Darmstadt war in die CityKirche Konkordien gekommen, um mit Mannheimer Politikern darüber zu diskutieren. Borchert macht bundespolitische Entscheidungen für die hohe Kinderarmut mitverantwortlich. Die Wurzeln der Misere sieht er in der Steuer- und Sozialpolitik. In seinem Vortrag sprach Borchert von der „doppelten Kinderarmut“ in Deutschland: Die Zahl der jährlichen Geburten habe sich von über 1,3 Millionen 1965 bis heute nahezu halbiert, der Anteil der Kinder in Sozialhilfe beziehungsweise Arbeitslosengeld II hingegen sei auf fast das Sechzehnfache gestiegen. Der Richter kritisierte die „Umverteilungspolitik“, in keinem anderen Land in Europa sei diese „so mies“. Familienhaushalte in Deutschland seien mit 25 Prozent in der Minderheit. „Aber um denen zu helfen, müssen die anderen 75 Prozent etwas geben“, so Borchert.
In kurzen Statements äußerten sich die Politiker: Laut Gerhard Schick (Grüne) ist es zu kurz gegriffen, nur das Steuer- und Abgabesystem verantwortlich zu machen. „Die Lohnentwicklung ist zurückgeblieben – auch da muss etwas korrigiert werden.“ Frank Mentrup (SPD) betonte ebenfalls, dass ein gerechtes Steuersystem allein nicht alles ändern könne, beispielsweise so lang kein Mindestlohn oder keine bessere Bildungsqualität erreicht würden.
Borchert wies auf eine „einfache Hausfrauenregel“ hin: „Beim Treppe kehren fängt man auf der obersten Stufe an.“ Und auf der obersten Stufe stehe, dass Menschen einen Job haben, der es ermöglicht, Kinder großzuziehen, zudem sei eine Umgestaltung der Sozialversicherung wichtig. „25 Prozent aller Beschäftigten arbeiten im Hunger- und Niedriglohnsektor“, sagte Michael Schlecht (Linke). „Natürlich sind deren Kinder arm.“ Birgit Sandner-Schmitt (FDP) wies entschieden zurück, dass die Politik sich zu wenig um Familien kümmere, weil diese nur einen geringen Teil der Wählerschaft ausmachten: „Man gibt nicht sein Gehirn ab, wenn man in die Politik geht“, sagte sie zu Borchert.
Nikolas Löbel (CDU) betonte, dass Familien- in Bildungspolitik übergehe und dass es dort an der Zeit sei, Strukturveränderungen sacken zu lassen und dann eventuell nachzujustieren. Auch Gemeinschafts- und Ganztagsschulen waren Thema: Wichtig sei, so Schick, dass die Elite nicht nur an sich denke: Eltern oberer Schichten müssten zustimmen, dass ihre Kinder länger mit anderen zusammen lernen. Die Diskussion, die Frauke Hess (RNF) moderierte, hat viele Fragen aufgeworfen, einige Lösungsansätze vorgestellt und gezeigt, wie vielschichtig die Ursachen für Kinderarmut sind.