Stadtverwaltung: Mitarbeiter im Rathaus berichten über steigende Zeitbelastung in ihrem Job / FDP will Klarheit von OB Kurz
Von unserem Redaktionsmitglied Martin Tangl- Mannheimer Morgen, 19.03.2012
Mitarbeiter der Stadtverwaltung schieben eine Bugwelle an Überstunden vor sich her. Da staunt SPD-Stadtrat und Gewerkschafter Reinhold Götz, als er kürzlich abends als Vorsitzender im Bezirksbeirat Neckarstadt einen städtischen Mitarbeiter am Tisch sitzen hat, der seit dem frühen Morgen unterwegs gewesen war. Erster Bürgermeister Christian Specht berichtet Ende Januar Regierungspräsident Dr. Rudolf Kühner, dass in der Kämmerei bei der Umstellung auf das neue kommunale Haushaltsrecht rund 8000 Überstunden angefallen sind. Damit sollen die Haushälter im Rathaus vor dem Fachbereich für Straßenbetrieb und Grünflächen an der Spitze der Überstunden-Statistik liegen. Bei den 51 Kollegen aus diesem Amt sollen rund 5100 Mehrarbeitsstunden „als Teil der ganz normalen Arbeit“ aufgelaufen sein.
Belastung durch „Change²“
Die Personalräte berichten in ihrem Mitteilungsblatt „von der Not des Arbeitsalltags“. Das Problem sei „mit hoher Wahrscheinlichkeit“, dass es an Personal fehle – oder die Arbeitsorganisation stimme nicht. Hinter vorgehaltener Hand nennen viele Beschäftigte bei der Stadt auch den sündhaft teuren Verwaltungsumbau des Oberbürgermeisters „Change²“ als Grund für die Mehrbelastung: „Zu viele Workshops, Schulungen und Arbeitsgruppen, alles noch obendrauf!“ „Und wenn ich die Überstunden abfeiern will, bleibt Arbeit liegen. Oder die Kollegen müssen eben mehr schaffen – und produzieren so weitere Überstunden“, klagt ein städtischer Mitarbeiter.
„Das Alltagsgeschäft wäre ja gerade noch zu bewältigen – aber da kommt immer wieder noch etwas dazu“, ergänzt ein anderer, bei dem mittlerweile über 100 Überstunden auf dem Konto stehen. Seine ganz normale Arbeitszeit gibt er von 7.30 bis 18 Uhr an und rechnet vor: „Da kommen automatisch jeden Tag zwei Überstunden dazu – ein Riesenproblem.“ Mit Namen wollen sie alle nicht in der Zeitung stehen: „Bei dem Thema reagieren unsere Vorgesetzten und der Oberbürgermeister äußerst sensibel.“ Bei „MM“-Anfragen über die Gründe für die Belastung der Mitarbeiter direkt bei den Fachbereichsleitern werden auch die Chefs plötzlich einsilbig.
„Überstunden sind ein Riesenproblem“, berichtet jedoch Gitta Süß-Slania, die Vorsitzende des Gesamtpersonalrats unserer Zeitung. Die offizielle Antwort aus dem Rathaus: „Darüber geben wir keine Auskünfte. Das wird alles intern geprüft.“ Die FDP hatte Anfang März im Gemeinderat eine Anfrage zur Entwicklung aufgelaufener Überstunden bei der Stadt gestellt. OB Peter Kurz hat den Stadträten darauf eine schriftliche Antwort versprochen. „Da liegen gar keine realistischen Zahlen vor“, befürchtet Gitta Süß-Slania. Denn mittlerweile würden viele Kollegen ihre Überstunden gar nicht mehr aufschreiben, es gebe eine hohe Dunkelziffer. In der Gleitzeitregelung bei der Stadt seien 27 Stunden Mehrarbeit im Monat zulässig, doch aus Verantwortung gegenüber der Bürgerschaft oder mit Blick auf den Vorgesetzten komme der ein oder andere Mitarbeiter sicher schon mal auf gut 100 Überstunden. „Und viele davon tauchen dann einfach nicht auf den Stundenzetteln auf“, weiß die Vorsitzende des Gesamtpersonalrats. „Bringt ja eh nichts“, seufzt ein Kollege.
„Immer wieder erreichen uns Beschwerden von Mitarbeitern und Personalräten, dass in einzelnen Fachbereichen gewaltige Bugwellen von Überstunden aufgetürmt wurden. Ein zeitnaher Freizeitausgleich ist aber häufig nicht möglich, ohne dabei die Funktionsfähigkeit der Dienststelle zu gefährden“, kritisiert FDP-Fraktionschef Volker Beisel.
Gefahren für die Gesundheit
Die Liberalen wollen nun vom Oberbürgermeister wissen, in welchen Fachbereichen besonders viele Überstunden aufgelaufen sind. Die FDP-Fraktion hatte bereits zu den Haushaltsberatungen im Dezember kritisiert, dass vermehrt hoch dotierte Positionen im direkten Bereich des Oberbürgermeisters geschaffen worden sind, jedoch die „einfachen Indianer“ innerhalb der Stadtverwaltung unter zunehmender Arbeitsbelastung leiden. FDP-Stadträtin Birgit Sandner-Schmitt weist wie viele Personalräte auch darauf hin, dass sich die viel zu vielen Überstunden langfristig auf die Gesundheit der Mitarbeiter auswirken werden.